Ukraine der 1990er Jahre. Ein junger Mann mit dem Spitznamen "Rhino" beginnt als einfacher Dieb und arbeitet sich schnell in der kriminellen Hierarchie nach oben. Rhino hat bisher nur Macht und Grausamkeit gekannt. Aber könnte er, der nichts mehr zu verlieren hat, endlich eine Chance auf Erlösung finden?
"This is not a film principally about criminality, murder, and shootings. It is about a man who lived through that difficult period and who now bears an internal burden that he is attempting to come to grips with." (--- Oleg Sentsov)
"Atemlos prescht Oleg Senzows RHINO in das Leben seines Hauptdarstellers Vova hinein. In den ersten Minuten droht sein Film geradezu zu bersten. Kaum hat man durchgeatmet, walzt Vova als junger Mann aus dem Haus heraus. Ein Bulle: die Schultern massiv, der Hals so breit wie der kurzgeschorene Kopf. Kein Wunder, dass er den Spitznamen 'Rhino' bekommt, Nashorn. Ein Dickhäuter, in jedem Sinn des Wortes.
Vova erlebt die post-sowjetische Ukraine der Neunziger, eine Welt der Gewalt. Von den Männern geht Aggression aus, erst in Vovas Elternhaus, dann unter seinen Freunden. Es herrscht ständiger Wettstreit: Wer ist der Stärkere, wer der Mächtigere? Meistens heißt die Antwort: Rhino. Zu seiner Kraft kommt eine urwüchsige Gerissenheit, vor allem aber eine an Wahnsinn grenzende Rücksichtslosigkeit. Auch sich selbst gegenüber. So legt er sich zwar mit den Falschen an, findet aber auch Verbündete im organisierten Verbrechen. Im Eiltempo steigt er immer weiter in der Kleinkriminellen-Hierarchie auf. ...
Nach dem Coming-of-Age-Prolog dient die Aufstiegsgeschichte dazu, das Bild einer archaischen Gesellschaft zu zeichnen. Die Behörden sind korrupt, die Männerbünde toxisch, Frauen fungieren lediglich als Spielbälle. Dieser Ursuppe entsteigt folgerichtig eine Figur wie Rhino. Wenn er erpresst, prügelt und tötet, umschwirrt ihn die Handkamera von Bogumil Godfrejów wie ein Komplize. Immer wieder ungeschnittene Einstellungen, ständige Bewegung, und doch bleibt man innerlich auf Distanz zu diesem Grobian. Etwas Anderes will Senzow auch gar nicht.
Für die Titelrolle suchte er unbedingt einen Laien, jemanden, der eine vergleichbare Geschichte mitbringt. Also ließ er 700 Soldaten, Sportler und Ex-Sträflinge vorsprechen, bis er Serhii Filimonov fand. Der macht seine Sache über weite Strecken durchaus überzeugend.
Filimonov ist aber aus anderen Gründen eine befremdliche Wahl. Er diente nicht nur als Soldat im Donbass und auf der Krim, er ist auch in der ukrainischen Neonazi-Szene verwurzelt. So wenig Senzow die Taten Rhinos relativiert – oder ihm ein politisches Motiv unterschiebt –, so fragwürdig bleibt, ob es eine gute Idee ist, einem wie Filimonov, der in den sozialen Medien als rechtsradikaler Influencer wirkt, zu einem derartigen Bekanntheitsgrad zu verhelfen. ...
Senzows Film bleibt, in vielerlei Hinsicht, ambivalent. Seine Gewalt führt in eine in warme Farben getauchte Ukraine ein – ein brachialer Lebensraum, der in den Post-Sowjet-Umbrüchen gerade seine Identität wiederfand. Man sieht heute diese Straßen, Bäume und Häuser und kann sich eines Gedankens nicht erwehren: So wird die Ukraine vielleicht nicht wieder aussehen." (--- Simon Rayß, Tagesspiegel Berlin)